Im Mai 2021 sind es vier Jahre, die Abbas (so möchte er genannt werden) in Untersuchungshaft sitzt in der Jugendstrafanstalt Berlin (JSA). Der zur Tatzeit 15-jährige ist heute 21 Jahre alt und war ein Kindersoldat nach internationalem Recht, egal, ob er freiwillig beim IS mitmachte oder gezwungen wurde, so die UN-Kinderrechtskonvention von 1989, so die Organisationen, die für die Kinderrechte streiten, wie Amnesty International oder Terre des Hommes. Das Element der freien Willensentscheidung kann beim Einschätzungsvermögen von Kindern und Jugendlichen nicht vollständig ausgeprägt sein wie bei einem Erwachsenen.
Obwohl gerade erneut eine Diskussion darüber entbrennt, in welchem Wortlaut die Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen wären, nachdem 2002 bereits das Staatsziel des Tierschutzes im Grundgesetz veranktert wurde, werden u.a. die Rechte der Kinder und -soldaten in Deutschland noch zu wenig beachtet, maht der Schattenbericht Kindersoldaten. Ende Oktober wurde auch der Fall Abbas in das UN-Staatenberichtsverfahren zur deutschen Umsetzung der Kinderrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle eingespeist, im Februar 2021 wurde er dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf vorgestellt. Fazit vom Schattenbericht Kindersoldaten: wenn Kinder und Jugendliche sich strafbar machten, sollen auch die deutschen Gerichte niemals außer Acht lassen, dass jungedliche Täter gleichzeitig Opfer waren. Das dürfe bei der Straffindung nie in den Hintergrund treten nach der von Deutschland ratifizierten Kinderrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle.
Aber was sollen Abbas und sein Vater im Oktober 2014 in Mossul getan haben?
Dutzende von IS-Männern ziehen im Oktober 2015 durch Mossul und werden von Schauslustigen und Anhängern der IS-Terrormiliz begleitet. Mindestens neun waffenstarrende Männer haben in ihrer Mitte einen Mann, bekleidet mit einem weißen langen Kleid. Seine Hände sind hinter dem Rücken gefesselt. Hupende Autos folgen. Der Propaganda-Fimtrupp des IS hat alles aufgenommen. Auf dem Quassem- al- Khayat- Platz kommen die Männer leicht erhöht zum Stehen. Im Video ist Abbas zu sehen, er wirkt wie ein Kind, seine Stimme eher hoch, er ist der einzige, der keinen Bart tragen kann. Er ist 15. Er tritt im roten Pullover an den Todgeweihten heran, hebt den rechten Zeigefinger und beleidigt ihn. „Dank des Islamischen Staates haben sie Dich hierher gebracht!“ sagt er dann, spuckt das Opfer an und verschwindet in der Menge. Dann fallen die Schüsse. Abbas Vater soll unter den maskierten Bewaffneten gewesen sein.
Auf verschlungenen Wegen kommen Abbas und seine Mutter, Vater, zwei Brüder, nach Berlin. Sie suchen Asyl, sagen sie und werden im April 2016 zu anerkannten Flüchtlingen. Abbas lernt schnell die deutsche Sprache, hilft anderen Flüchtlingen im Heim beim Deutscherlernen, er hat seine erste große Liebe. Vater Raad, seine Mutter und die -inzwischen- zwei kleinen Brüder werden als Flüchtlinge anerkannt.
Ein geflüchteter Iraker, der früher auch in Mossul wohnte, entdeckt ain den sozialen Medien auf seinem Handy das Hinrichtungsvideo. Er geht damit zur Polizei. Abbas und sein Vater werden vom SEK nach monatelanger Suche in Berlin festgenommen. Zuerst werden sie wegen Rauschgifthandels vor Gericht gestellt. Doch nach ihrem Freispruch (nach zum Teil falschen belastenden Zeugenaussagen, so die Richter) sitzen Vater und Sohn weiter in Haft: die Bundesanwaltschaft führt Ermittlungen wegen Terrorverdachts gegen die beiden. Seit fast vier Jahren (im Mai 2021) sitzt Abbas Vater nun in Untersuchungshaft, Abbas sitzt in der U-Haft der Jugendstrafanstalt Berlin. Eigentlich gilt für ihn das Jugendstrafrecht, dessen Grundgedanke der der Erziehung ist, aber nicht in erster Linie Vergeltung und Buße. "Erziehung statt Strafe". Gewährt man dieses Grundrecht auch Menschen wie Abbas, der einen Menschen, der feige hingerichtet werden sollte, herabwürdigte, beleidigte, völkerrechtlich absolut gegen jeden Grundsatz des Menschseins verstieß?
“Welche Handlungsoption hat so ein 15-jähriger, umringt von neun schwer bewaffneten IS-Kämpfern? Soll er dann sagen: Das mache ich nicht?“ fragt Verteidiger Sven Peitzner. Sein Mandant habe sein sein ganzes kurzes Leben lang nur Gewalt und Krieg erlebt: ob den Irak Krieg und Saddam Husseins Sturz, den Bürgerkrieg, der Kampf mit den Islamisten. „Vater und Sohn sind keine religiösen Menschen“, sagt Abbas zweiter Verteidiger C. Marc Höfler. Im Gegenteil: die Familie sei gut betucht und einige Mitglieder von ihr hätten hohe Funktionen bis zum Minsteramt in Saddam Husseins Regime gehabt. Vater Raad A. komme aus der Nomenklature der Bathisten, der Partei Saddam Husseins.
Die Bundesanwaltschaft möchte zu den erhobenen Vorwürfen keine Stellung nehmen. Das habe man beim Prozessbeginn vor dem 1. Senat des Berliner Kammergerichts vor knapp zweieinhalb Jahren getan. Eine Interviewanfrage, um mit Abbas selbst zu sprechen über sein Leben im Irak und seine Einstellungen wird von ihm begrüßt, ebenso, und das ist selten, vom Leiter der Jugensstrafanstalt Berlin. Selbst Justizsenator Dirk Behrendt stimmt zu. Aber der vorsitzende Richter des 1. Strafsenats verweigert den Zugang zu Abbas im Jugendgefängnis: Zeugen könnten über die öffentlichen Äußerungen von Abbas unter Druck gesetzt, das Verfahren könnte beschädigt werden, obwohl ohnehin bei einem Interview unter Hochsicherheitsbedigungen drei Polizeibeamte jedes Wort mithören und kontrollieren würden.
Die knapp vierjährige Untersuchungshaft bedeutet für Abbas u.a. : seine Mutter nur zweinmal im Monat zu sehen, sie und seine Brüder nicht berühren dürfen, so seine Anwälte. Er hat keine Ausbildung genossen, "nur Hauptschulabschluss", nicht einmal der MSA-Abschluss sei unter seinen Haftbedigungen möglich gewesen, so eine Gutachterin im Prozess., denn : der Jugendliche sei ein Untersuchungsgefangenen der zweimal wöchentlich seinen Prozess habe. Auerdem unterliege er strengen Sicherheitsauflagen. „Bei so einer langen Haftzeit hätte man ihm ruhig eine Ausbildung angedeihen lassen können! Das Problem ist, dass er zweimal die Woche beim Gericht ist…“, sagt der Leiter der Jugendhaft Bill Borchert. Als Kinderrechtsschutzorganisationen von Abbas erfahren, sind die Mitarbeiter betroffen. Alle befürworten, dass Abbas bestraft werden muss, aber ein solcher Umgang sein höchst fragwürdig, denn Abbas sei, ob er freiwillig bei IS mitgemacht habe, oder nicht, ein Kindersoladat gewesen.
„Für bewaffnete Gruppen und Milizen wie den IS ist die Rekrutierung von unter 18-jährigen verboten.“ Das sei völkerrechtlich so festgelegt. Ob die Kinder freiwillig dort mitmachten oder nicht, sie seien Kindersoldaten, sagt die irakkundige Henriette Hänsch von Terre des hommes.
ImIFebruar 2012 wurde dem UN-Ausschuss für Kinderrechte in Genf der "Fall“ Abbas vom Deutschen Bündnis Kindersoldaten“ vorgelegt. Die UN muss nun prüfen, ob Deutschland gegen die Kinderrechtskonvention von 1989 verstoßen könnte. Damit wäre international geltendes Recht verletzt. Noch vor einem möglichen Schuldspruch des Kammergerichts wird bereits die Abschiebung des inzwischen 21-jährigen Abbas in den Irak betrieben. Dort droht ihm zumindest Folter, sagt das Berliner Verwaltungsgericht und stoppte bisher alle Versuche der Abschiebung. Im letzten Sommer beging Abbas einen "ernstzunehmenden Suzidversuch", so die Mediziner, wegen dieser Pläne. Er habe nur knapp überlebt. Bis April 2021 ist derzeit der Prozess in Berlin terminiert.
Bitte hören sie auch den Podcast zu Abbas, u.a. mit Stellungnahmen seiner Verteidiger, Informationen von Terre des Hommes und dem Leiter der Jugendstrafanstalt.
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Gerichtsreporter Morling
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